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Heinrich Roller (1839–1916)

Heinrich Roller kam als vierter Sohn eines Kunstwebers und einer Hebamme in Berlin zur Welt. Seine Kindheit verbrachte er zu großen Teilen am Spulrad seines Vaters. Obwohl die Eltern auf die Schulbildung ihrer Kinder größten Wert legten, musste er unter diesen Umständen dem Schulunterricht oft fernbleiben. Aber dank seiner schnellen Auffassungsgabe gehörte er zu den besten Schülern. Vorzeitig bestand er die Abschlussprüfung der Elementarschule 1851 vor der Schulaufsichtsbehörde. 1852 entschied er sich für eine Tischlerlehre. Nach der Ausstellung seines Gesellenbriefes 1856 blieb er in der Werkstatt seines Meisters weiterhin beschäftigt.
1859 trat er dem Berliner Handwerkerverein bei, der eine Vielzahl von Weiterbildungs-
möglichkeiten anbot. Im Winter 1861/62 nahm er an einem Lehrgang für Stenografie teil. Den Unterricht erteilte Leopold Arends (1817–1882), der Hauptvertreter der selbstlautschreibenden Systeme. 1863 fühlte sich Roller in der Stenografie so sicher, dass er seinen Beruf als Tischler aufgab, um von nun an mit der Stenografie seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Als Stenograf, Privatsekretär und Buchhalter arbeitete er in den folgenden Jahren im Gymnastisch-orthopädischen Institut in Berlin, später als Redakteur eines Börsenblattes und des Socialdemokrat.

Außerdem war er als Privatsekretär für den „Eisenbahnkönig” Dr. Bethel Henry Strousberg (1823–1884) tätig und protokollierte die Parlamentssitzungen für das parlamentarische Büro der Kölnischen Zeitung auf den Journalistentribünen des Preußischen Landtages sowie des Deutschen Reichstages.
Heinrich Rollers Begeisterung für die Stenografie bestimmte von nun an auch seine Freizeit. Bereits 1868 gründete er das Stenographische Institut zur Erteilung von Unterricht und Ausbildung praktischer Stenographen. Dem Berliner Central-Verein Arendsscher Stenographen stand er von 1867 bis 1871 vor. Heinrich Roller löste sich von Arends und legte sein eigenes Stenografie-System vor, welches er in den Jahren beträchtlich überarbeitete und verbesserte.
Seit circa 1860 gab es eine enge Verbindung Heinrich Rollers mit der organisierten Arbeiterschaft in Deutschland. Nach dem Tod Ferdinand Lassalles gründete Jean Baptist von Schweizer (1867–1871), Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. 1864 die Zeitung Socialdemokrat. Nicht zuletzt wegen seiner stenografischen Fähigkeiten wurde er Berliner Bevollmächtigter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. 1869 stenografierte Roller den gesamten Kongress zur Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) in Eisenach.

Heinrich Roller veröffentlichte zuweilen unter dem Pseudonym „Roland vom Hochplateau” Gedichte, Lieder und Erzählungen. Er verfasste unter anderem eine Schriftenreihe Für den Herren-Abend mit dem Untertitel Eine Sammlung humoristischer Collegia von Roland vom Hochplateau, Professor der Zotologie an der Freien Hochschule fideler Geister alma mater Berolina. Alle sechs Hefte dieser Reihe stehen unter dem Motto:

„Der Mensch, der mich zum Lachen bringt.
Der nützt mir mehr als alle Ärzte,
Und ist mir darum unbedingt,
Der liebste und der – allerwerteste.”

Heinrich Roller starb 1916 im Alter von 77 Jahren und wurde auf dem Friedhof der Freireligiösen Gemeinde Berlin begraben. In seinem Testament bat er um die Errichtung eines Grabmals, das eine schreibende Frauengestalt vor einem schwarzen Granitstein zeigen sollte. (...) Der Verband der Deutschen Stenografen weihte am 13. September 1925, zum 50jährigen Bestehen der Rollerschen Welt-Kurzschrift, die 1907 angefertigte Plastik des Bildhauers Prof. Heinrich Pohlmann auf dem Grab von Heinrich Roller ein.
nach einem Text von Jan Förster