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Ein ungewöhnlicher Film
„Der Friedhofspark Pappelallee in Berlin Prenzlauer Berg“
Was ursprünglich nur als eine Dokumentation für das eigene Archiv vorgesehen war, wurde Anfang des Jahres 2013 in der ehemaligen Feierhalle der Freireligiösen Gemeinde Berlin einem größeren Publikum präsentiert. „Ein ungewöhnlicher Film, an einem ungewöhnlichen Ort mit einer ungewöhnlichen Premiere“, so kündigte die Vorsitzende, Anke Reuther, diese Zusammenschau von politischen, kulturhistorischen und biografischen Skizzen an. In dem heutigen Prenzlauerberger Szenetheater „Ballhaus Ost“ wurde den Zuschauern keine historische Lektion erteilt, sondern ein poetischer Zusammenklang von Natur, Kultur und Geschichte geboten. Vor einem jahreszeitlichem Hintergrund begleitet die Kamera der Fernsehjournalistin Gertraud Krüger Besuchergruppen und Anke und Kirsten Reuther vom „Zentrum zur Erforschung der freireligiösen Bewegung“ über den ehemaligen Friedhof der Freireligiösen Gemeinde Berlin in der Pappelallee. Ausgangspunkt ist der „Tag des offenen Denkmals“ 2011 an dem sich der einstige Friedhof als kulturgeschichtlicher Erinnerungsort zeigt. Pulsierendes Leben im angesagten Berliner Bezirk Prenzlauer Berg kontrastiert mit Ruhe und Besinnung zwischen kulturhistorischen Denkzeichen . Dazwischen immer wieder Musik, die durchaus nicht nur als Hintergrund gedacht ist. Wir hören die Liedermacherin Isabel Neuenfeldt, die den Text des Stiftungssteins (von Adolf Harndt) und ein Gedicht von Heinrich Roller vertont hat. Oder den Liedermacher und Sänger Max Biundo, der mit einem Revolutionslied den geschichtlichen Hintergrund der Gemeindegründung unterstreicht oder mit bekannten Liedern die Jahreskreisfeste der heutigen Gemeinde begleitet. Dazu passen auch Zyklen aus den „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi - für den Film von Kirsten Reuther bearbeitet.
Und immer wieder Szenen und Schlaglichter zur Geschichte der Berliner Freireligiösen und des ehemaligen Friedhofs, stets verknüpft mit dem Zeitgeschehen: der sich herausbildenden Sozialdemokratischen Partei, der Arbeiterbewegung, den Anfängen einer Frauenbewegung, dem sozialen Elend und dem Milieu, das Heinrich Zille so treffend wiedergegeben hat. Mit Videoaufnahmen aus den 1990er Jahren wird auch neuere Geschichte dokumentiert: die Bilder erzählen von der Verwahrlosung des Geländes zu DDR-Zeiten. Die Totenbücher, die sich seit 2011 wieder im Besitz der Gemeinde befinden, verzeichnen im Januar 1848 die erste Bestattung auf diesem einzigen freireligiösen Friedhof. Ein Student, der den Freitod gewählt hatte, fand hier seine letzte Ruhe. Er wurde nicht, wie sonst üblich, vor den Toren der Stadt oder außerhalb des Kirchhofs verscharrt. Auf diese Weise gaben die Freireligiösen Selbstmördern die Würde zurück. Leben und Werk der auf dem ehemaligen Friedhof bestatteten Persönlichkeiten werden anhand historischer Aufnahmen vorgestellt und die Zuschauer erfahren recht kurzweilig spannende Details über diese Politiker, Schriftsteller, Kulturanstifter und couragierten Kämpfer – alles engagierte Mitglieder der Freireligiösen Gemeinde Berlin. Viele Beisetzungen gestalteten sich zu eindrucksvollen Demonstrationen, wie z.B. die Beerdigung von Agnes Wabnitz (1842 – 1894), einer Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen. Doch es gibt auch die vielen Berliner, an die inzwischen kein Grabstein mehr erinnert. Das heutige Gartendenkmal war vom Verbot und der Enteignung der Freireligiösen Gemeinde Berlin 1934 bis zum Jahre 1970 städtische Begräbnisstätte. Nach der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit von zwanzig Jahren, erfolgte dann zwischen 1993 und 1995 der Umbau zu einem Friedhofspark mit öffentlicher Nutzung. Und so picknicken hier heute die Anwohner, Kinder toben auf dem kleinen Spielplatz und Sonnenanbeter breiten ihre Handtücher aus.
Die ehemaligen Grabsteine halten junge Frauen keinesfalls davon ab, sich im Bikini daneben zu legen. Aber auch der Friedhof als Ort der Kontemplation: die Kamera beobachtet eine Anwohnerin, die in winterlichem Ambiente zwischen den kulturhistorischen Denkzeichen konzentriert Tai-Chi übt. Als Gartendenkmal ist der ehemalige Friedhof auch eine Oase für Liebespaare, was offensichtlich auch Konrad Wolf, der Regisseur des DEFA-Kultfilms „Solo Sunny“(1980), erkannt hatte: eine Sequenz aus diesem Film zeigt die aufmüpfige Sängerin Sunny mit ihrem Geliebten, dem Philosophen Ralph, vor dem Hintergrund der ehemaligen Feierhalle, über die ewigen Fragen der Menschheit reflektierend. Das Zusammenspiel von Ruhe und Hektik, Historie und Moderne, Tod und Leben, Vergangenheit und Zukunft verweist auf einen Ort, dessen Geschichte nicht abgeschlossen sein sollte. Die Freireligiöse Gemeinde Berlin wirkt in den Stadtbezirk Prenzlauer Berg hinein, auch über den Friedhofspark, der dringend einer Sanierung bedarf. Der Film macht deutlich, dass die Freireligiöse Gemeinde mehr als ihre wechselvolle Geschichte ist, nämlich eine geistige Heimat für Menschen, die eine diesseitige Religion leben wollen. Als kollektive Leistung von Gertraud Krüger, Anke und Kirsten Reuther versteht sich der Film als ein „Laienprodukt“, das in der Ästhetik über eine reine Dokumentation hinaus geht: Bilder, Musik und Text berühren. Zur Information gesellt sich über die filmische Begleitung durch den Jahreskreis mit wunderschönen Bildern ein Naturgefühl, das die pantheistische Überzeugung vieler Freireligiöser anspricht. Nicht nur deshalb wäre es schön, wenn der Film in vielen freireligiösen Gemeinden gezeigt werden könnte. Vielleicht ergeben sich auch Fragen zur eigenen Geschichte der freireligiösen Gemeinden. Einer Geschichte, die nicht in Vergessenheit geraten sollte. Ist der Film in erster Linie als aufklärender Impuls für die Bewohner des Prenzlauer Bergs gedacht, die das Gartendenkmal gern gedankenlos als Ruhezone nutzen oder es gar vermüllen, so wünschen wir doch, dass er noch weitere Kreise zieht.
Kirsten Reuther hielt es am Schluss der Premiere – die mit ihrer großen Resonanz übrigens bewies, wie gut die Freireligiösen in Berlin vernetzt sind - mit dem allgegenwärtigen Geheimrat Goethe, indem sie ihn zitierte:
Und umzuschaffen das Geschaffne,
damit sichs nicht zum Starren waffne,
wirkt ewiges,
lebendiges Tun.

Elke Gensler

„Der Friedhofspark Pappelallee in Berlin Prenzlauer Berg“, ein Film von Gertraud Krüger im Auftrag des „Zentrums zur Erforschung der freireligiösen Bewegung“, 2012.

Es besteht die Möglichkeit, den Film in der Freireligiösen Gemeinde Berlin auszuleihen. Anke Reuther bietet an, den Film in den interessierten Gemeinden auch persönlich vorzustellen. (näheres unter 030/44048000 oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! ).